Es ist beschlossene Sache: Ich mache mich selbständig. Die mutige Brit in mir raunt: „Geil.“ Die sicherheitsbedürftige ist in einer Art Schockstarre und wispert kurzatmig: „Wie soll das funktionieren, wovon sollen wir leben?“
„Von Luft und Liebe“ könnte ich ihr zuflüstern und sie bitten, mal etwas tiefer zu atmen, das entspannt. Aber natürlich will ich ihre Ängste auch ernst nehmen. Wenigstens ein bisschen. Und wenn ich es mir recht überlege, weiß ich ja wirklich noch nicht genau, ob das, woran ich glaube, taugt zum guten Leben. Selbständigkeit am Rande des Existenzminimums ist jedenfalls nicht die gewünschte Antwort. Mein Szenario heißt vielmehr größtmögliche Freude mit stetig wachsendem Erfolg. Soweit zur Absicht.
Es ist das erste Mal, dass ich mich selbständig mache. Nach 28 Jahren Festanstellung mit geregeltem Einkommen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld und dem Gefühl, rundumversichert zu sein, ist jetzt so ziemlich alles offen. Es gäbe also durchaus ein paar Gründe, ängstlich zu sein.
Ich kenne Selbständige, die sagen, es war die beste Entscheidung ihres Lebens. Und ich kenne die, die aufgegeben haben und zurück sind in eine Festanstellung, weil sie keine Lust oder keine Kraft mehr hatten für Selbst und Ständig. Es sind unzählige Geschichten – solche, die Mut machen und solche, die mich in die Endlosschleife aus Bedenken katapultieren.
Eine Zeitlang stehe ich mittendrin und weiß nicht, wem ich eher glauben soll oder will. Je mehr ich höre, desto weniger weiß ich am Ende, ob ich das wirklich alles will. Und kann. Ob der Weg sich lohnt oder ich nicht besser beraten bin, mich auf was Sicheres zu bewerben, in meinem Alter.
Aber vielleicht habe ich in den vergangenen Wochen zu lange den Duft der Freiheit geatmet. Ich kann und will mir nicht mehr vorstellen, dass andere mir sagen, was ich zu tun und zu lassen habe. Mir erzählen, wo mein Tellerrand endet. Ich will etwas Eigenes.
Während die Idee der Selbständigkeit in mir reift, wird mir eines Tages etwas klar: Das hier kann nur richtig gut werden, wenn ich es wirklich auf meine Weise mache. Wenn ich mir erlaube, da lang zu gehen, wo es sich für mich gut anfühlt. Auch wenn da vielleicht noch niemand vor mir war. Wenn ich noch mehr lerne, auf mein Herz und Bauch zu hören, statt auf meinen Verstand.
Das ist auch für mich immer wieder neu. Früher kannte ich nichts anderes, als meinen Kopf zu befragen, jetzt hat mein Bauch das Steuer übernommen.
Ich frage auch weiter diejenigen, die ihren Weg Richtung Selbständigkeit vor mir gegangen sind. Aber ich weiß jetzt, sie sind nicht die alleinige Antwort, um meine Schritte zu setzen. Ich lausche ihren Geschichten jetzt anders und vor allem, weil sie mir am meisten darüber erzählen, was sie vom Leben erwarten, was sie glauben zu verdienen und sich selbst erlauben in Sachen Leichtigkeit und Fülle. Das ist für mich richtig spannend, denn all die Fragen stelle ich mir auch.
Früher hätte ich mich mehr angestrengt, diese Antworten zu finden, damit es zügig vorangeht. Heute begreife ich mehr und mehr: Es geht nicht ums Suchen der Antworten, es geht ums Sich-finden-lassen. Offen zu sein für die Möglichkeiten des Lebens und gleichzeitig abwarten zu können, was wirklich sein will. Das war bislang auch nicht unbedingt die Art, wie ich mein Leben geplant habe.
Mittlerweile glaube ich, der Weg in meine Selbständigkeit ist für mich ein Bilderbuch-Lehrstück, das Leben auch im beruflichen Kontext noch einmal auf eine ganz neue Art kennenzulernen: freudvoll, mühelos und erfolgreich.
Die Antworten, Lösungen und Ideen finden mich verrückterweise am ehesten, wenn ich gerade dabei bin mich zu entspannen, wenn ich still werde und mit Kopf und Bauch dabei bin, das Abendessen zu planen, statt meine Zukunft.
Anfangs halte ich es für Zufall. Aber die Zufälle häufen sich. Die wirklich guten Dinge und Projekte finden mich tatsächlich freudvoll und erstaunlich mühelos.
Aber ehrlich, wer ist schon mit ‚mühelos‘ und ‚freudvoll‘ groß geworden? Wer kennt nicht vielmehr diese Sätze wie in Stein gehauen: Aller Anfang ist schwer. Von nichts kommt nichts. Ohne Fleiß kein Preis. Ich könnte die Liste nahezu endlos fortsetzen.
Und jetzt? Stelle ich fest, dass es nicht stimmt. Dass das Leben so gar nicht tickt. Nie behauptet hat, dass es so ticken will. Dass es die Freude und die Mühelosigkeit liebt. Dass genau das vielmehr der Kompass zu sein scheint, um das zu finden, worum es wirklich geht. Klar geht es auch mit Anstrengung. Aber es geht eben auch gut ohne. Ich vermute fast besser.
Und was mache ich nun mit diesem Wissen? Ich drossle das Tempo. Ich frage mich immer wieder, was muss gerade sein oder was kann, darf vielmehr. Ich frage meinen Bauch. Und ich bleibe einen Moment länger sitzen, atme tief durch und horche nach innen, welcher Impuls kommt.
Es ist verrückt und schön gleichermaßen: Mit Mitte fünfzig festzustellen, dass man noch mal neu denken darf: Das Feld der Möglichkeiten zu bestellen, indem man freudvoll eine Handvoll Samen auswirft, um sich dann zum Kaffee am Feldrand zu verabreden und beim Wachsen zuzuschauen und aufs Leben zu lauschen. Das erzählt ohnehin die besten Geschichten.
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