Kapitel 48: Allein im Auszeit-Land

 

Birgit ist zurück nach Deutschland gereist. Seit unseren gemeinsamen Tagen in Tavira waren wir in Verbindung geblieben, mit ihr hatte ich eine Verbündete in diesem Land, eine Vertraute, eine Freundin, obwohl wir uns erst wenige Tage kannten. Nun bleibe ich allein zurück und komme mir vor wie ein Kind, das seine Eltern im Bällebad vergessen haben. Wieso nur bringt mich ihre Abreise so aus dem Konzept? 

 

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Bevor ich mich tiefer mit dieser Frage beschäftige, folge ich zunächst mal einem ersten Impuls: Ich verlängere meinen Aufenthalt in Lagos. Gerade will ich mir nämlich nicht vorstellen, in wenigen Tagen auch noch mein eben erst vertraut gewordenes Heim

verlassen zu müssen. Da ist er wieder, mein leichter Hang zum Drama: „Heim verlassen“, wie das klingt! Als wäre ich auf der Flucht. Wie auch immer, ich habe gerade keine Lust auf neue Orte und fremde Regionen, zumal ich nicht einmal weiß, wohin ich als nächstes will. In die Hauptstadt und dann vielleicht weiter nach Norden, wie ich eigentlich mit Birgit überlegt hatte? Oder an der Algarve bleiben und noch weiter Richtung Westen?

 

Zwei Tage ist es her, dass Birgit für einige Tage in Lagos war. An unserem letzten Abend, den wir auf meiner Terrasse verbringen, baden wir in der Vorstellung, uns als nächstes in Lissabon zu treffen und von dort aus weiter nach Porto zu fahren. Die Stadt im Norden reizt uns beide. Als Birgit am nächsten Morgen Richtung Alentejo weiterreist, bleibt unsere Idee zwar vage, aber auf jeden Fall eine Option. Wir sind uns einig, dass wir hier und jetzt nichts entscheiden müssen.

 

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Wege entstehen, indem man sie geht?!

 

Nur einen Abend später schreibt Birgit mir kurz vorm Schlafengehen, dass sie ihre Quartiersuche im Alentejo aufgrund des Dauerregens abgebrochen hat und direkt bis Lissabon durchgefahren ist. Nun sitzt sie am Flussufer des Tejo, das Wetter hat sich nach dem Regen und Gewitter der vergangenen Stunden endlich beruhigt, die Sonne steht am Horizont und geht langsam über dem Fluss unter. Birgit ist selbst neugierig darauf, wie sich die nächsten Tage entwickeln und will mich auf dem Laufenden halten. Sie schwankt zwischen allen Möglichkeiten, das lese ich in und auch zwischen ihren Zeilen.

 

Während ich in meinen Kissen liege, checke ich aus einer Laune heraus die Verbindung vom südlichen Lagos in das im Norden gelegene Porto: Nicht ganz vier Stunden bis Lissabon, von dort sind es noch einmal gut drei Stunden bis Porto. Noch ist alles offen. Wir können – wenn wir wollen. Beruhigt schalte ich das Handy aus und schlafe ein.

 

Morgenstimmung mit Kaffee

 

Als ich am Morgen, also keine zwölf Stunden später, Birgits nächste Nachricht lese, hat sie bereits ihren Rückflug nach Deutschland für den darauffolgenden Tag gebucht und sitzt gerade am Flughafen, um ihren PCR-Test machen zu lassen. Sie würde morgen nach Hause fliegen.

 

Ich lese die Nachricht. Und dann noch einmal. Um mich herum ist es mucksmäuschenstill. Als hätte jemand den Ton meines Films leise gedreht. „Oh wow, Birgit, das muss ich erst mal sacken lassen...“ ist das vorerst Einzige, was ich nach zwanzig Minuten auf ihre Nachricht antworten kann. Dann gehe ich zum Strand und laufe los. Ich weiß, warum ich das immer wieder so gerne tue: Während ich am Meer entlanglaufe, kann ich meine Gedanken kreisen lassen, ich brauche nicht über den Weg nachzudenken. Einfach am Wasser entlang. Hirn aus, Herz an. 

 

Achttausend Schritte und zwei Kaffees später bin ich immer noch in der Schwebe. Viel zu sehr hat mich das Ganze aus der Kalten erwischt. Obwohl Birgit immer mal wieder laut darüber nachgedacht hatte, nach Hause zu fliegen, vielleicht schon in den nächsten Tagen, hatte ich nicht wirklich damit gerechnet. Ich war mir sicher, wir treffen uns noch einmal, in Lissabon oder in Porto. Nun ist sie weg. Und ich fühle mich allein. Dabei bin ich doch seit sechs Wochen allein unterwegs. Immer wieder andere Orte, immer wieder andere Menschen. Ich bin mir doch sicher, dass ich in meiner Auszeit niemanden brauche, jedenfalls nicht auf Dauer oder gar ständiger Rufbereitschaft. Und doch fühle ich mich, als wäre ich gerade verlassen worden.

 

Das Gefühl trifft mich mit voller Wucht. Plötzlich fühlt sich dieses Land, das ich in den vergangenen Wochen immer mehr lieben gelernt habe, leerer an.

 

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Tage des Donners? Emotional auf jeden Fall.

 

Birgit und ich mussten nicht ständig zusammen reisen, dennoch genossen wir unseren Kontakt und das Sich-austauschen-können. Und ja, auch die Option, sich treffen zu können. Jetzt bin ich wieder allein. Ich muss das mehrmals laut aussprechen, damit ich es selbst höre und die Worte begreife. In den vergangenen drei Wochen, in denen ich mit Birgit in Kontakt war, hatte ich dieses Gefühl irgendwie vergessen. Ja, ich war allein weitergereist, aber es gab da diese unsichtbare Verbindung zwischen uns, die mir ein Gefühl von Stärke vermittelt hat, mehr, als mir das bis eben bewusst war. Ich werde das vermissen. Ich werde Birgit vermissen. 

 

Und dann fällt mir ein, was ich mit dem Rest des Tages anfange: Ich laufe zum „Antonio“, ein Restaurant mit dazugehörigem Café, direkt am Meer gelegen mit einem unglaublichen Blick auf den Atlantik. Einfach Meer und Horizont. Und dem warmen Gefühl im Bauch, willkommen zu sein wie in einer Großfamilie. Vor einigen Tagen war ich mit Birgit das erste Mal hier, nur, um einen Tag später gleich noch einmal mit ihr hier zu landen. Nicht nur die Aussicht, auch das Essen ist sensationell.

 

Am ersten Abend flirtet Carlo, unser Kellner, mit uns, wir lassen uns mit Leichtigkeit darauf ein. Beim zweiten Mal begrüßen uns die Kellner mit einem breiten Grinsen, als hätten sie schon auf uns gewartet. Wir üben mit Händen, Gesten und Zetteln deutsch-portugiesische Redewendungen und Lebensweisheiten.

 

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Das erste Mal im "Antonio", Freude pur.

 

Als ich heute im „Antonio“ ankomme, hat sich das Wetter für warm und sonnig entschieden, als würde es mir das Ankommen im neuen Auf-mich-geworfen-sein ein bisschen leichter machen wollen. Ich lasse mich im Café schräg über dem Restaurant nieder, bestelle einen Kaffee, ein Stück Kuchen und ein Glas Rosé. Unser Lieblingskellner ist da und begrüßt mich freudestrahlend. Ich sitze beim Wein, plausche mit ihm, während sich mein Blick auf den Wellen des Atlantik ausruht. Was für ein herrlicher Ort zum Runter- und wieder Bei-mir-ankommen. Als ich später gehen will, kommt Carlo vorbei, zaubert eine Flasche Rosé hinter dem Rücken hervor und schenkt mir mit einem warmen Lächeln und einem leisen „Saúde“ einfach nach.

 

Und während ich hier sitze, weiß ich es mit einem Mal: Ich werde in Lagos bleiben, nicht nur ein, zwei Tage, sondern gleich eine gute Woche. Ich bin noch nicht bereit für die laute, trubelige Hauptstadt und erst recht nicht bereit, das Meer hinter mir zu lassen. José hatte schon gefragt, ob ich nicht noch ein bisschen bleiben will. Er würde mir das Zimmer gern noch länger überlassen. Jetzt spüre ich, wie gut sich dieser Gedanke anfühlt. Mein Körper entspannt sich noch ein bisschen mehr angesichts der Vorstellung, auf der Terrasse zu sitzen, am Pool zu liegen, durch die Gassen zu bummeln. Niemand treibt mich, stattdessen einfach nur freudvolles Sein.

 

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Einfach sein: Blick vom Café Antonio am Strand von Lagos

 

Als ich Carlo von meiner Idee erzähle, grinst er und meint: „Sim, claro.“ Ja, natürlich. Vermutlich wusste er es längst. Nur ich habe noch einen Rosé länger dafür gebraucht. Mein Puls ist wieder im Auszeitmodus. Ich schicke Birgit eine Nachricht und wünsche ihr einen schönen Platz in Lissabon für ihren vorerst letzten Abend in Portugal. Ich bin mir sicher, wir werden in Verbindung bleiben, ganz gleich, wo die andere gerade ist. Denn dazu war unsere Begegnung viel zu intensiv!

 

Und ich freue mich jetzt schon auf ein Wiedersehen! Wann, wo und wie auch immer es aussehen wird, die Zeit wird es uns zeigen.

 

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