Ich sitze hier, und die Tränen rollen. Es passt nicht wirklich, mitten im Café, an den Nachbartischen Gäste, die mich verstohlen und auffällig unauffällig mustern. Der Kellner kommt vorsichtig näher, fragt, ob alles in Ordnung sei, oder ob ich etwas brauche. „Tudo bem, alles gut“, schniefe ich.
Er scheint sich da nicht so sicher zu sein, denn wenig später stellt er mir wortlos eine kleine silberfarbene, prall gefüllte Box mit Servietten auf den Tisch. Das trifft sich gut, ich habe nämlich kein einziges Taschentuch dabei.
Wahrscheinlich vermutet der Kellner Liebeskummer, Heimweh oder Abschiedsschmerz. Es ist nichts von alledem. Es ist die blanke Rührung, die sich ihren Weg bahnt. Es beginnt mit einem Gedanken, der aufsteigt, keine zehn Minuten, nachdem ich Platz genommen habe in diesem kleinen Café mit direktem Blick auf den Strand und das Meer: Was für eine geile Zeit, die ich in diesem Land haben darf. Was für eine unfassbar schöne, intensive Zeit. Seit den vergangenen Wochen, zurück an der Algarve, bin ich noch einmal richtig hier und bei mir angekommen. Das ist es wohl, das süße Auszeitleben in Höchstform. So viele Momente, in denen ich nichts weiter in mir spüre als das sanfte Glucksen des Glücks. Und die Zeit ist noch nicht vorbei.
Das Meer, keine fünfzig Meter vor mir, rollt Welle für Welle heran. Zu seinem Rauschen gesellt sich der sanfte Blues aus den Boxen des Cafés. Ich lasse die Tränen laufen. Es gibt keinen Grund, mich zusammenzureißen. Ich bin mitten in meinem eigenen Kitschfilm, und ich liebe es!
Seit eben weiß ich auch, dass aus dem Nachhausekommen in wenigen Wochen doch noch eine Verlängerung meiner Auszeit wird, wenn auch anders als gedacht. Die ursprünglich erhoffte Verlängerung war vor vier Wochen geplatzt, wie eine der übergroßen Seifenblasen, die sich lange hält, nur um dann, plötzlich und unerwartet, in sich zusammenzufallen. Es gab für mich in dieser Zeit schlicht und ergreifend keine Vertretung in meinem Job und damit auch keine Option, länger in Portugal zu bleiben. An der Enttäuschung darüber hatte ich ein paar Tage zu knabbern.
Dann jedoch findet mich ausgerechnet beim morgendlichen Schreiben auf dem Balkon eine neue Idee: Ich werde wie geplant nach Hause reisen und zum vereinbarten Termin wieder anfangen zu arbeiten. Allerdings kehre ich vorerst noch nicht in meine Wohnung zurück, sondern suche mir stattdessen eine WG oder Ferienwohnung in der eigenen Stadt. Auf diese Weise gehe ich noch eine Zeit lang auf Abstand zum Gewohnten und lebe noch ein bisschen wie ein Gast in der Heimat, wenn auch nur für drei, vier Wochen. Es braucht allerdings eine kleine Weile, bis alles wirklich da ist, wo es sein soll. Doch der Reihe nach.
Die ersten Schritte, meine Idee umzusetzen, gehen zunächst leicht: Ich telefoniere mit meinem Sohn und erzähle ihm von meinem Plan. Schließlich funktioniert dieser nur, wenn sich auch die Jungs-WG eine Verlängerung ihrer Mietzeit in meiner Wohnung vorstellen kann. Mein Sohn ist sofort Feuer und Flamme und gleichzeitig sicher, dass auch die anderen zustimmen werden. Und tatsächlich: Einen Tag später bin ich mir mit den Jungs einig. Die Suche nach der passenden Bleibe für mich kann beginnen. Immerhin habe ich Heimvorteil und weiß, wo es sich gut leben lässt. Außerdem habe ich ein paar konkrete Wünsche für mein Auszeitgefühl in der eigenen Stadt.
Zwei Wochen später macht sich allerdings Ernüchterung breit. Die Angebote für Ferienwohnungen oder „Wohnen auf Zeit“, die ich finde, sind entweder absurd teuer, passen zeitlich nicht oder bieten Wohnraum an, den ich, gelinde gesagt, nicht geschenkt haben möchte.
Erstmals lasse ich den Gedanken zu, dass vielleicht doch nichts werden könnte aus meinen Plänen. Zumal ich keine Lust habe, meine Zeit hier in Portugal mit der endlosen Suche nach passendem Wohnraum zu verbringen. Drei komplette Abende, an denen ich mich in Kleinanzeigen, Bildergalerien und auf Immobilienseiten vergrabe, gehen bereits auf das Konto dieser Idee. Mehr muss gerade nicht sein. Dann eben nicht, denke ich bei mir, und die Enttäuschung zieht dabei an jedem einzelnen Wort.
Entweder, es kommt jetzt allein und wirklich mühelos auf den Weg, oder eben nicht. Und da ist noch ein Gedanke: Ich will es vom Leben wissen. Ich will wissen, ob es die Erfüllung meiner Vorstellungen für mich wirklich vorgesehen hat. Ich habe die Begeisterung für diese Idee vom ersten Moment an gespürt und kann nicht so richtig glauben, dass nichts daraus werden soll. Vielleicht will ich es einfach zu sehr und stehe dem Leben mit meinem ganzen Aktionismus einfach nur im Weg? Am Ende hat das Leben längst einen Plan, nur ich verbeiße mich in Webseiten, statt zu vertrauen?
In einer Mischung aus Nicht-mehr-daran-denken und Nicht-traurig-sein-dass-es-nicht-klappt, gebe ich auf. Nur das Herz murmelt in stillen Momenten: Soll es wirklich sein, wird es dich leicht finden, mit erstaunlicher Mühelosigkeit. Mag sein, aber das ist jetzt wirklich nicht mehr mein Thema. Soll das Leben machen, was es für richtig hält. Wenn du mich suchst, Leben, ich bin am Strand. Am liebsten würde ich ein „ätsch“ hinterherschicken, weil ich endlich wieder die Freiheit über meine Zeit zurückhabe.
Und das Leben, das Universum, der Zufall, irgendjemand, der es gut mit mir meint, antwortet – nur wenige Tage später und, auf den Tag genau, zwei Wochen vor meiner geplanten Abreise nach Hause: Plötzlich ist für alles gesorgt. Nicht nur, dass meine Wünsche bezüglich der Wohnung alle erfüllt werden, es gibt das Ganze auch noch zum Nulltarif. Ich allerdings brauche geschlagene vierundzwanzig Stunden, um zu begreifen, was mir da für ein Geschenk vor die Füße rollt.
Zunächst einmal bin ich nämlich traurig, als ich lese, dass mein Neffe und seine Freundin genau an jenem Wochenende in den Urlaub fahren, an dem ich zurück nach Deutschland komme. So werden wir uns erst geschlagene drei Wochen später wiedersehen können. Erst am nächsten Morgen realisiere ich, was das bedeuten kann: Ihre Wohnung steht in dieser Zeit leer. Nach drei Whats-App Nachrichten ist die Sache geritzt: Ich darf die vollen drei Wochen in ihrer Wohnung verbringen und kümmere mich dafür liebevoll um ihre Blumen und den Briefkasten.
Noch einmal zieht die Geschichte an mir vorbei – von der Idee, übers Knirschen bis hin zum guten Ende. Ich habe jetzt noch zwei Wochen in Portugal und anschließend noch einmal drei Wochen Kiezleben in meiner Heimatstadt, nur auf der anderen Seite der Elbe. „Danke, Leben“, flüstere ich.
Meine Tränen sind längst getrocknet. Der Kellner quittiert es mit einem Lächeln. Zukünftig werde ich Taschentücher dabeihaben, so viel steht fest. Nur für den Fall, dass wieder einmal eine Welle der Rührung über mir zusammenschwappt. Man kann nie wissen.
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