Ich bin mit dem Auto auf dem Weg zur ersten Stunde meines Portugiesisch-Kurses. „Olá Portugal“, das Portugiesisch-Lehrbuch mit seinen prall gefüllten 250 Seiten, liegt neben mir auf dem Beifahrersitz. Die junge Frau auf dem Buchtitel scheint mir aufmunternd zuzulächeln.
Als wäre es ein Kinderspiel, die Sprache ihres Landes zu lernen. Ich bin mir da nicht so sicher.
Als ich eingeparkt habe, stelle ich mit einem Blick aufs Handy fest, ich habe noch eine gute halbe Stunde bis zum Unterrichtsbeginn. Es regnet wie aus Kannen. Der Scheibenwischer meines Autos hat seine liebe Not, die Wassermassen in gleichmäßigem Rhythmus von der Windschutzscheibe zu schieben. Mein ursprünglicher Plan, noch eine Runde um den Block zu laufen, fällt somit aus. Dabei hätte es gutgetan, mir noch ein bisschen die Beine zu vertreten und so das Zuviel an Strom in meinem Körper in den Asphalt unter meinen Füßen zu lenken. Stattdessen bleibe ich im Auto sitzen, lehne mich zurück und schließe die Augen.
In die plötzliche Stille hinein spüre ich, wie nervös ich vor der ersten Stunde bin. Was, wenn mir der Lehrer unsympathisch ist? Oder ich ihm? Was, wenn in der Gruppe lauter kleine Streber sitzen? Was, wenn ich nichts verstehe? Nun, immerhin damit ist zumindest am Anfang zu rechnen, der Lehrer ist schließlich Portugiesisch-Muttersprachler und ich kenne gerade mal fünf Vokabeln. Allerdings hoffe ich darauf, dass es am Ende des Kurses für ein paar alltagstaugliche Redewendungen reicht, um in meinem Wunschland über die Runden zu kommen. In zwölf Unterrichtsstunden á neunzig Minuten sollte doch etwas zu machen sein. Vorausgesetzt, ich widme mich zwischen den wöchentlichen Kursstunden auch ab und an ein paar Übungen.
Nach der ersten Stunde werde ich klüger sein. Vielleicht noch nicht in Sachen Sprachkenntnisse, aber zumindest in dem Gefühl, ob der Kurs für mich passt. Falls ich es beim ersten Mal blöd finde, kann ich es immer noch bleiben lassen. Oder vielleicht wenigstens ein zweites Mal hingehen und dann die Flinte ins Korn werfen. Wird schon, flüstere ich mir in Gedanken zu und öffne die Augen. Der Regen hat inzwischen etwas nachgelassen, die Sonne glitzert hinter den Wolken hervor. Und plötzlich sehe ich ihn: Schräg vor mir spannt sich ein riesiger Regenbogen. Zum Anfassen nah. Mit offenem Mund starre ich ihn an wie eine Fata Morgana. Einfach unglaublich. Ich erinnere mich an die Momente, in denen ich in den vergangenen Monaten einen Regenbogen gesehen hatte, es waren stets besondere. Als würde mir jemand ein Zeichen geben: Alles wird gut. Na dann, auf geht’s! Es ist jetzt sowieso Zeit zu starten. Aufgeregt bin ich immer noch.
Der Kurs findet ausgerechnet in meiner alten Schule statt. Es ist eine Ewigkeit her, dass ich in diesem Gebäude war. Es hat sich eine Menge verändert. Und doch bin ich überrascht, wie viele kleine Ecken ich entdecke, die mich an damals erinnern.
Neunzig Minuten später weiß ich: Der Lehrer ist mir sympathisch, die Gruppe angenehm klein – und Portugiesisch lernen wird womöglich kein Kinderspiel. Buchstaben einfach weg zu nuscheln scheint ein wichtiger Teil der Sprache zu sein. Auch Buchstaben anders auszusprechen, als wir es aus dem Deutschen kennen.
Als ich das Schulgebäude verlasse, hat sich der regnerische Spätnachmittag mittlerweile in einen dunklen, nasskalten Abend verwandelt. Dabei ist der Herbst noch keine zwei Wochen alt. Ich denke an meine Alltagspause im warmen, sonnigen Portugal. Fühlt sich alles noch ein bisschen unwirklich an. Und doch bin ich diesem Traum heute mit meiner ersten Portugiesisch-Lektion ein Stück nähergekommen. Ich werde den Kurs fortsetzen. Nicht nächste und übernächste Woche, da sind Herbstferien. Aber Anfang November geht es weiter.
Ich könnte schon ein bisschen vorblättern im Buch, die CD anhören, ein Youtube-Tutorial suchen. O là là, vor der Stunde hatte ich Bedenken, es könnten ein paar Streber in der Klasse sitzen. Am Ende bin ich die größte Fleißmeise von allen?
Auszug aus dem 14. Kapitel
Ich weiß, es ist zu früh. Immerhin sind es noch vier Monate bis zum Start. Und doch habe ich Lust zum Packen. Zumindest mal die ersten Dinge für die Reise bereitzulegen. Mich schreckt nicht einmal die Vorstellung, dass mir diese Sachen dann unzählige Wochen im Weg herumliegen könnten. Vielleicht will ich ja vorbereitet sein für den Fall, dass es früher losgeht?
Dabei habe ich noch nicht einmal entschieden, womit ich reise: Koffer, Reisetasche oder doch besser Rucksack? Diese Unentschlossenheit hat einen einfachen Grund: Ich habe von mir selbst noch kein genaues Bild auf dieser Reise: Bin ich die Touristin mit Rollkoffer oder eher die gechillte Aussteigerin mit Rucksack auf dem Rücken? Oder irgendwas dazwischen, das in meine mittelgroße Reisetasche passt?
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Nächsten Freitag geht's weiter!