„Bom dia.“ Es sind nur zwei Worte. Doch genau diese wenigen Silben sorgen dafür, dass es mir hier in Fuseta immer wieder warm wird ums Herz: Dieses Land und seine Menschen sind gut zu mir, mit ihrer Willkommenskultur für Fremde wie mich, mit ihren kleinen Gesten, die mir ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Sie grüßen mich mit ihrem freundlichen Olá“, als wäre es das Normalste auf der Welt.
Anfangs bin ich regelrecht überrascht, weil dieses Hallo eben nicht nur in Geschäften fällt, sondern mir einfach überall auf der Straße entgegengebracht wird, von Männern wie Frauen, ganz gleich welchen Alters, Blickkontakt inklusive.
Seit ich hier bin, erfahre ich, was es wirklich bedeutet, allein in der Fremde zu sein. Und wie gut mir diese kleinen Strohhalme aus Worten und freundlichen Augenblicken tun, nach denen ich besonders dann gern greife, wenn mich die Sehnsucht nach der Heimat streift. Und dabei bin ich freiwillig hier. Wenn ich will, kann ich schon morgen im Flieger nach Hause sitzen. Ich habe die Wahl. Nichts und niemand zwingt mich zu etwas, zum Hierbleiben schon gar nicht.
Ich erfahre so viel Wohlwollen und Herzlichkeit, dass ich vielleicht genau deshalb eine Ahnung bekomme, wie schrecklich es sein muss, auf der Suche nach Sicherheit in ein anderes Land gehen zu müssen und dort auf nichts außer Ablehnung zu stoßen, in den Gesichtern, Worten, Gesten. Ich könnte heulen, allein bei der Vorstellung dieses elendigen Gefühls. Ich bin dankbar, hier sein zu dürfen, mit offenen Armen empfangen zu werden, obwohl niemand weiß, was ich hier vorhabe. Die portugiesische Kultur der offenen Herzen und Gesten ist an keine Frage und deren Antwort gebunden, sie scheint bedingungslos zu sein. Sie beginnt wie selbstverständlich mit einem immensen Vertrauensvorschuss.
Zum Beispiel mit einem Lächeln und eben einem Gruß. Manchmal geht der Ton am Ende der Silben nach oben und eine Frage scheint mitzuschwingen nach dem „Woher?“ und „Wohin?“. Nie ist es aufdringlich. Oft ist es nur die Freude über diese kurze Begegnung. Nach den vielen Wochen des Lockdowns auch in Portugal, in denen die Wohnungen nur aus triftigem Grund verlassen werden durften, kehrt das öffentliche Leben langsam zurück. Noch immer sind die Cafés und Restaurants geschlossen, nur der sonntägliche Gottesdienst und die schmalen Fußwege sind derzeit die Orte des sozialen Miteinanders.
Die Portugiesen, ausgehungert von den Wochen der Isolation und des erzwungenen Rückzugs, genießen es freudvoll und lautstark. Tag für Tag streife ich durch die engen Straßen und Gassen, verweile am Markt oder vor der Kirche, beobachte die Szenerien, sauge das Stimmengewirr in mich auf und fühle mich in Herz und Seele wie aufgetankt, wenn ich in meine kleine, stille Wohnung zurückkomme.
Am Abend beobachte ich von meinem Balkon aus die Nachbarin auf der gegenüberliegenden Dachterrasse, die fast immer zur selben Zeit mit einer kleinen Schüssel voller Wäsche auftaucht. Jedes Mal grüßen wir uns über die schmale Straße hinweg, lächeln, und das ist es auch schon. Und dennoch wird es bereits nach zwei Tagen wie selbstverständlich zu meinem allabendlichen Ritual.
Am gestrigen Abend, die Dämmerung ist schon vorangeschritten, höre ich von meinem Balkon aus Gesang, der von der Straße zu mir herauf klingt. Die Töne sind leise, eindringlich, voller Wehmut. Ich lehne mich an die gusseiserne Brüstung, neugierig zu sehen, wo sie herkommen. Als ich nach unten schaue, sehe ich die alte Frau auf der niedrigen Stufe vor ihrer Haustür sitzen. Sie trägt ein einfaches, dunkelgrünes Kleid, darüber eine dünne, kurze Strickjacke. Ihre Füße stecken in Pantoffeln, das kinnlange, graue Haar ist in weichen Wellen zurückgekämmt. Ich bleibe an der Brüstung stehen, lausche. Kurz schaut die Frau zu mir herauf, als hätte sie gespürt, dass sie eine Zuhörerin hat. Doch sie verstummt keineswegs, als sie mich sieht. Einen Moment lang ruht ihr Blick auf mir, während sie weitersingt. Vielleicht jetzt auch für mich, vielleicht auch für jemanden, den nur sie vor ihrem geistigen Auge sieht.
Sie tastet sich von Note zu Note. Als würde sie ihre eigene Geschichte erzählen und manchmal überlegen müssen, wie sie wohl weitergeht. Viel verstehe ich nicht vom Text. Von Liebe und Abschied ist die Rede, und der Sehnsucht nach einem Wiedersehen. Als eine Nachbarin vorbeikommt, unterbricht sie sich kurz für ein „Boa tarde“, dann singt sie weiter, die Nachbarin noch in Hörweite. Ich trete zurück vom Geländer, lasse mich in einen der niedrigen Korbstühle nieder und lausche weiter ihrem Klang. Ich bin dankbar für dieses Lied, das direkt mit meinem Herzen zu sprechen scheint.
Blick von meinem Balkon - Zwitschern der Vögel und Musik gibt's jeden Abend gratis
Bei meinem heutigen spontanen Ausflug in den größeren Supermarkt am anderen Ende des Ortes mache ich beim Anblick der in pinkfarbener Alufolie verpackten Schokohasen eine erstaunliche Feststellung: In wenigen Tagen ist Ostern – und ich hatte bis eben mit keiner Silbe daran gedacht. Vor dem Start in meine Auszeit schien Ostern noch sehr weit weg zu sein. Nur einen kurzen Moment hatte ich mich damals gefragt, was ich wohl an diesen Tagen, die ich sonst mit Familie und Freunden verbrachte, in Portugal tun würde. Jetzt steht Ostern vor der Tür, und ich stelle fest: Es spielt für mich absolut keine Rolle. Ich muss weder Osternester füllen, noch den Familienbesuch planen. Es sind einfach ganz normale Tage, die ich nach meiner Vorstellung gestalte. Überrascht bin ich allerdings, dass im hiesigen Supermarkt die Schokoladenhasen und Ostereier nicht, wie zu Hause, ganze Regalreihen und Gänge in Beschlag nehmen. Vielmehr führen sie ein erstaunlich abseits gelegenes Dasein neben der Getränkeabteilung.
Es ist wirklich interessant, wie schnell sich mein Fokus komplett verschoben hat: Seit knapp zwei Wochen befinde ich mich im Auszeit-Modus, und meine Tage haben bereits einen gewissen Gleichklang angenommen. Meine Zeitrechnung kennt aktuell nur zwei Formen: Tage, an denen ich reise und Tage, die ich an einem Ort verbringe. Und da die Lebensmittelgeschäfte in Portugal auch sonntags geöffnet haben, ist Einkaufen kein Problem, ganz gleich, ob in der Woche oder am Wochenende. Auf Vorrat muss ich schon gar nichts kaufen, denn ich reise in wenigen Tagen weiter.
Eines fällt mir jetzt jedoch in Sachen Zeitrechnung siedend heiß ein: Ich will am kommenden Montag weiter nach Tavira im Osten der Algarve reisen. Mein Quartier habe ich dort schon gebucht. Allerdings habe ich mir für meinen Ortswechsel ausgerechnet den Ostermontag ausgesucht, sprich einen Feiertag. Ich sollte unbedingt noch mal einen Blick aufs Kleingedruckte im Zugfahrplan werfen. Könnte sein, dass mich ein kleines Sternchen an meiner Verbindung freundlich darauf hinweist: verkehrt alle Tage außer feiertags! Ich will es wirklich nicht darauf ankommen lassen, dass mir erneut ein hilfsbereiter Assis aus dem Schlamassel helfen muss.
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Auszug aus dem 38. Kapitel
Kein Möbelverschieben, kein Stühlerücken, kein Suchen nach dekorativen Decken, Lampen oder Kerzen. Nichts von alledem. Ich lasse alles da, wo es ist. Das ist neu.
In meinem ersten Quartier in Praia de Faro ist das Zimmer so einfach und geradezu nüchtern, dass ich, noch bevor ich den Rucksack auspacke, zuerst ein paar Fotos aus meiner Tasche krame, um sie an die nackten Wände zu pinnen.
In Fuseta braucht nach meinem Empfinden der Balkon eine Generalüberholung. Also schleppe ich Decken und Kissen raus, suche Teelichter für die zartgrünen Schälchen aus Glas und öffne den kleinen Sonnenschirm, obwohl sich die Sonne an diesem ersten Nachmittag hinter Wolken versteckt. Ich steige die Treppe zur Gemeinschaftsdachterrasse hinauf, nur um festzustellen, dass das wohnliche Freiluftleben hier oben noch nicht einmal ansatzweise Einzug gehalten hat. Der Anblick hat so gar nichts gemein mit der behaglichen Atmosphäre der Fotos auf Airbnb. Die Sessel und Liegen stehen staubig in der Ecke, als wären sie beleidigt vom langen Lockdown. Also beginne ich zu räumen, um wenigstens ein bisschen Behaglichkeit einkehren zu lassen.
...
Kommenden Freitag geht's weiter
Im nächsten Kapitel geht meine Reise weiter nach TAVIRA ;-)