Kapitel 29: Der erste Morgen

 

Das blecherne Knallen einer Tür holt mich aus dem Schlaf. 6.15 Uhr, wie ich mit fassungslosem Blick auf die Uhr feststelle. Am ersten Tag meiner arbeitsfreien Auszeit. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Selbst der Himmel vor meinem Fenster ist noch im Dämmermodus.

 

Den Geräuschen nach ist es Freddy, der um diese frühe Stunde eine erstaunliche Betriebsamkeit an den Tag legt und mich gnadenlos daran teilhaben lässt. Freddy ist Yogi und gibt während seiner Reise ab und an Yoga-Kurse online. Vielleicht ist er ja der Meinung, dass das frühe Aufstehen nicht nur ihm guttut, sondern auch der blassen Deutschen, die da gestern Abend angereist ist?

 

Praia de Faro, Blick zum Meer, Airbnb Zimmer
Selbst die Vögel vor meinem Fenster sind noch recht schweigsam um diese Zeit...

 

Freddy stellt mein bisheriges Bild von Yogis komplett auf den Kopf. Ich dachte immer, Yogis sind still, in sich gekehrt, nahezu lautlos in ihren Bewegungen? Doch Freddy redet nicht nur viel und gern, wofür ich ihm am gestrigen Abend durchaus dankbar bin, er wirft auch die Türen hinter sich zu, als wäre er allein in der tibetischen Hochebene. Leider ist unser Haus viel zu hellhörig, als dass ich die Geräusche ignorieren könnte. Ich sollte wahrscheinlich froh sein, dass Freddy nicht schnarcht, denn auch das würde ich hören. Dabei teilen wir weder Zimmer noch Bett. Wand an Wand reicht in diesem Haus vollkommen aus, um am Leben des Anderen akustisch teilzuhaben.

 

Eine halbe Stunde später fällt die Eingangstür unten im Haus mit diesem gewissen Ächzen ins Schloss, das ich schon vom gestrigen Abend kenne. Dann ist Ruhe. Vielleicht zieht Freddy es ja vor, seine Yogaübungen am Strand zu machen? Dankbar ziehe ich die Decke wieder höher, drehe mich auf die Seite und schlafe tatsächlich noch einmal ein.

 

Gut schlafen in der Auszeit ü50
Kissen und Decke nehmen mich wieder sanft in ihre Arme!

 

Am nächsten Morgen wiederholt sich das Spiel: 6.15 Uhr. Ich brauche keinen Wecker, ich habe Freddy. Seine Morgenroutine holt mich erneut viel zu früh mitten aus einem Traum. Einem Traum, in dem ich mit Freunden im heimischen Biergarten sitze, alles ist bekannt und vertraut. Jetzt liege ich hier und brauche einen Moment, um zu realisieren: Ich bin allein in Portugal. Okay, klingt erst mal theatralischer, als es ist. Trotzdem streift mich ein Hauch von Heimweh. Vielleicht ist es aber auch für gute Laune einfach noch zu früh. Ich ziehe mir die Decke über den Kopf und hoffe, dass mich der Schlaf wieder in seine Arme nimmt.

 

Keine fünf Minuten später weiß ich: Das wird heute nichts. Und nun? Ich könnte lesen. Oder einfach liegen und nichts tun. Doch plötzlich ist diese Idee da: Aufstehen, zum Meer gehen, ein bisschen Yoga, ein bisschen Meditieren. Wer weiß, vielleicht will ich auch einfach nur still sitzen und aufs Wasser schauen. Möglich, dass mir das gut tut, dann würde ich Freddy dankbar sein. Kann aber auch sein, ich komme zurück und drehe ihm den Hals um, weil mich der Schlafmangel aggressiv gemacht hat.

 

Praia de Faro, Yoga am Strand, Meer, Portugal
Füße hoch in der Auszeit hatte ich mir eigentlich anders vorgestellt.

 

 

Ich schnappe mir meine Turnschuhe, mein großes Handtuch und eine Flasche Wasser. Es ist sieben Uhr, als ich das Haus verlasse. So früh bin ich nicht mal unterwegs, wenn ein Bürotag vor mir liegt. Zum Strand sind es nur ein paar Meter. Das liebe ich wirklich an meinem Quartier: Ich höre die ganze Zeit das Meeresrauschen und bin in weniger als fünf Minuten mit den Füßen im Sand.

 

Heute Morgen ist es frisch, aber windstill. Die Sonne lugt langsam über die Dächer der niedrigen Häuser. Der Strand ist menschenleer, der Sand noch kalt und feucht. Die Sonne würde brauchen, um ihn zu erwärmen. Ich lege mein Handtuch auf den Boden und beginne langsam mit ein paar Übungen aus dem Qi Gong und Yoga. Bei Übungen wie „Kobra“ und „Herabschauender Hund“ kriege ich den Gedanken nicht ganz aus dem Kopf: Was, wenn mir jemand zusieht? Vorsichtig schaue ich mich um. Keiner zu sehen. Ich bin um diese frühe Stunde, noch dazu an einem Sonntag in Portugal, vermutlich die Einzige, die schon auf den Beinen ist. Womöglich lag selbst Freddy nach dem ersten Türenschmeißen längst wieder in den warmen Federn.

 

Ich konzentriere mich auf meinen Atem und mache zum Abschluss meine derzeitige Lieblingsübung: „Fists of Anger – Fäuste des Zorns“. Drei Minuten atme ich schnell und tief und werfe mit kreisenden Armen und geballten Fäusten gedanklich alles hinter mich, was mich gerade belastet. Es spielt keine Rolle, ob ich weiß, was es ist. Nach drei Minuten bin ich ausgepowert, meine Arme sind schwer. Innerlich aber fühle ich mich leicht, Wärme steigt in mir hoch. Ich lasse meine Hände auf meine Oberschenkel sinken, atme ruhig weiter. Diese Übung finde ich immer wieder faszinierend. Ich weiß nicht genau, was dabei passiert, aber ich fühle mich besser danach, jedes Mal! Leichter, freier, unbeschwerter. Als hätte ich tatsächlich eine Menge Ballast abgeworfen.

 

  

Auszeit ü50
Nach dem Yoga am Strand hab ich sogar für Freddy ein Lächeln übrig ;-)

 

Ein Grinsen erreicht meine Mundwinkel. Ich muss an Freddy denken. Ich bin ihm wirklich dankbar. Ohne ihn wäre ich jetzt nicht hier. Nach dieser Erkenntnis mache ich meine morgendliche Meditation und laufe danach am Strand entlang. In der ganzen Zeit begegne ich nur einem einzigen streunenden Hund. Mit weit ausholenden Bewegungen tobt er über den Sand, Ausgelassenheit pur. Kann ich verstehen, Kumpel. Mir geht es gerade ähnlich. So viel Wohlbefinden, in so kurzer Zeit, direkt vor der Haustür. Man muss nur rechtzeitig aus den Kissen kommen. 

 

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Katze neugierig auf dem Tisch
Auch schon neugierig, wie es weitergeht? © Simone_ph

Auszug aus dem 30. Kapitel

 

Ich schreie, so laut ich kann: „Ist da jemand? Kann mich jemand hören?“ Keine Antwort. Nur das Tosen der Wellen. Dem Meer scheint es egal, was ich hier tue. Seine stoische Art vermittelt mir: Wenn du schreien willst, dann schreie. Aber mach nicht so viel Gewese darum. 

 

Ich muss lachen, breite meine Arme aus und schreie gleich noch einmal: „Ich bin in Portugal und ich liiiiiebe es!“ Wieder kein Kommentar, von niemandem. Ich wüsste auch nicht, wer mir an diesem einsamen Strand antworten oder gar widersprechen sollte. Meine Stimmbänder hingegen scheinen überrascht, wir hatten das lange nicht mehr, so laut, so kraftvoll.

 

Wo ich da gerade unterwegs bin?

... lest ihr nächste Woche im kompletten Kapitel!

 

Seid ihr dabei? 

 

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