Vor zwei Jahren habe ich mit meiner besten Freundin Katja meinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert. Wir wollten diese Zahl nicht einfach so still und heimlich übergehen. Sie stand sowieso wie ein rosa Elefant im Raum, ganz gleich, wie sehr wir uns bemühten, sie zu ignorieren oder zumindest kein großes Ding daraus zu machen.
Also entschieden wir uns, der Zahl und unserem Alter lachend die Stirn zu bieten. Wir fühlten uns gut gewappnet, ihr entgegen zu treten mit einem „Hier sind wir! Lass uns die Gläser heben, auf das, was war. Und auf das, was noch kommt!“
Es war ein wunderbares Fest in einer von der Augustsonne aufgeheizten Nacht. Wir tanzten selig zur Musik unseres Gestern und ausgelassen zu den Rhythmen des Heute. Wir staunten, dass wir uns in allen Takten gleichermaßen jung fühlten. Je später der Abend, desto mehr verlor der rosa Elefant seinen Schrecken. Wovor nur hatten wir solche Angst gehabt? Es war doch gar nicht so schwer, fünfzig zu werden.
Am Morgen danach räumten wir die Reste der Party auf und gingen vierundzwanzig Stunden später wieder zur Tagesordnung über. Wir hatten die Hürde der neuen Zahl genommen, wir konnten stolz auf uns sein. Ab und an ließ sich die Party-Geschichte noch gut erzählen. Bis auch das verblasste. Zeit, zum gewohnten Gleichklang zurückzukehren. Bis zum nächsten Runden blieb uns eine gefühlte Ewigkeit.
Ein paar Wochen später merkte ich, dass sich etwas verändert hatte. Der rosa Elefant war immer noch da. Nicht groß, aber anwesend. Er verschwand nicht, nur, weil ich ihn eine Nacht mal ordentlich im Wein geschwenkt hatte. Plötzlich begriff ich: Mit dem Fünfzig-Werden hatte ich zwar eine Hürde genommen. Doch der Lauf der Dinge ging weiter. Obwohl sich äußerlich nur eine Zahl geändert hatte, war das Alter auf einmal ein Thema für mich. Nicht, weil andere es dazu machten. Das schaffte ich ganz allein.
Bislang hatte ich immer groß getönt, dass es ja toll ist, überhaupt älter werden zu dürfen. Irgendwie stimmte das auch immer noch. Und doch verstand ich mehr und mehr auch den Satz: Älterwerden ist nichts für Feiglinge. Irgendwie schien mir das Gefühl verlorengegangen zu sein, was zu mir passte. Als wäre ich mit einem Fuß noch in den Vierzigern und mit dem anderen schon in der zweiten Lebenshälfte. Wirklich wohl fühlte ich mich auf keiner der beiden Seiten. Die eine war vorbei, die andere legte eine Sperrigkeit an den Tag, dass ich meinen Fuß am liebsten mit einem „Ich hab's mir anders überlegt“ zurückgezogen hätte.
Ich war aus dem Gleichgewicht geraten. Der nächste Sommer kam, ich wurde einundfünfzig, ohne dass ich mit der fünf vorne dran warm geworden war.
Nun ist wieder Sommer, ein warmer Dienstag im August. Es ist mein zweiundfünfzigster Geburtstag. Die fünf ist immer noch da, sie würde noch eine ganze Weile bestehen bleiben. Heute macht sie mir komischerweise nichts aus, obwohl es mein Geburtstag ist. Ich ignoriere sie nicht.
Doch mein Blick hat sich geweitet: über den Tellerrand hinaus. Mit der Idee von der Auszeit weiß ich plötzlich, es beginnt etwas Neues. Mit diesem stillen Gedanken im Kopf, hier zu sitzen, die Füße im Sand, fühlt sich unglaublich gut an. Noch ist es nicht soweit, meiner Runde aus Familie und Freunden davon zu erzählen. Noch sind zu viele Dinge vage. Die kleine Strandbar, die ich mir für meine Geburtstagsfeier ausgesucht habe, liegt direkt am Wasser, die Elbhänge in Sichtweite. Die Kulisse ist wie geschaffen für unser heutiges Miteinander. Der Duft von frischen Burgern wabert über der langen Tafel, in den Gläsern perlt der gekühlte Rosé, die Luft ist erfüllt von Gesprächen und Lachen. Wie ich mich wohl im nächsten Sommer fühlen würde?
Auszug aus dem siebten Kapitel
„Du nimmst deine sechs Wochen Jahresurlaub und dazu sechs Wochen unbezahlten Urlaub, schon hast du drei Monate zusammen.“ Simone schaut mich an, als wäre es die einfachste Rechnung der Welt und der Urlaubsantrag damit so gut wie unterschrieben.
Es ist früher Abend, die tiefstehende Sonne blinzelt nur ab und zu noch zwischen den Ästen des nahestehenden Ahorns hindurch. Wir sitzen bei Pasta und Salat auf meinem Balkon. Wieder hat sich die Auszeit-Idee wie selbstverständlich in unser Gespräch gemischt, wie schon wenige Tage zuvor. Simone ist bislang die Einzige, die von meiner Idee weiß. Ich habe schlichtweg Angst, mir meine Idee von anderen zerreden zu lassen. Andererseits merke ich, wie gut es mir tut, jetzt mit ihr darüber zu sprechen. So kann ich mir auch selbst dabei zuhören, um festzustellen, ob es mir nach wie vor ernst damit ist. Simones Einfälle zu meinen noch unsortierten Gedanken sauge ich auf wie ein Schwamm. Sie wirken wie Dünger auf mein junges, noch zartes Auszeit-Pflänzchen.
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Nächsten Freitag lest Ihr das komplette Kapitel.