Meine Haut ist trocken, rissig und schuppt sich. Als wäre es ihr zu eng geworden unter der portugiesischen Sonne. Als wäre es Zeit, die Schicht abzulegen, die ich aus dem deutschen Winter mit hierher in dieses sonnenverwöhnte Land gebracht habe.
Unter der abgestorbenen Haut entdecke ich die neue, zart rosafarbene. Noch ganz empfindlich. Noch nicht bereit, sich der Kraft der Sonne, des Windes und der salzigen Meeresluft zu stellen. Also schütze ich sie unter einer dicken Schicht aus Creme, damit sie sich in Ruhe erneuern kann. Am liebsten würde ich mich mit darunter verkriechen, damit auch ich mich in Ruhe entwickeln kann.
Als wäre das Häuten nicht schon schmerzhaft genug, vollzieht sich auch in meinem Inneren ein Reifeprozess. Langsam, und ja, manchmal ebenso schmerzhaft. In meinem seelischen Ringen merke ich immer wieder: Ich bin nicht diejenige, die das Tempo bestimmt. Und beschleunigen lässt sich das schon gar nicht. Dennoch nehme ich jeden Tag aufs Neue Anlauf, um das Gefühl der Fremde endlich hinter mir zu lassen, das mich immer wieder heimsucht. Es verunsichert mich. Mehr, als ich mir eingestehen will, mehr, als mir lieb ist.
Ich gebe mir große Mühe, es mir nicht so schwer zu machen. Doch je mehr ich versuche, so zu tun, als fühlte ich mich hier schon zu Hause, desto mehr stellen sich meine Emotionen quer. Sie spielen mein Spiel des So-tun-Als-ob nicht mit. Sie zwingen mich innezuhalten, zu respektieren, dass ich mich nicht auskenne. Einzusehen, dass ich die Sprache nicht beherrsche. Endlich anzuerkennen, dass alles um mich herum fremd ist. Und dass genau das nicht schlimm ist. Denn das Fremde will gut zu mir sein. Will, dass ich es in Ruhe entdecke. Freude dabei empfinde. Mir die Zeit dafür nehme, die es eben braucht. Denn wovon ich hier reichlich habe, ist ja wohl Zeit.
Unzählige Wochen liegen noch vor mir, es ist also nicht schlimm, dass es auch nach zehn Tagen hin und wieder knirscht im Wohlbefinden. Doch gerade hilft mir diese Art von Zeitrechnung nicht. Ich hatte mir nämlich im tiefsten Inneren eingebildet, dass es anfangs vielleicht ein, zwei Tage ruckelt. Dann aber würde es beginnen, das genussvolle, wunderbare Auszeit-Leben. Ohne weitere Talfahrten. Ich habe schließlich frei, bin am Meer, die Sonne scheint, und ich habe alle Zeit der Welt. Es gibt somit keinen Grund zum Nicht-Glücklich-sein. Dennoch muss ich ernüchtert feststellen: Die Auszeit-Euphorie stellt sich nicht einfach ein, weil ich gerade Zeit für sie habe. Nicht einmal mitten im Paradies.
Zu allem Überfluss befinde ich mich seit zwei Tagen in Fuseta. Dieser kleine Ort, der geduckt hinter einer Landzunge liegt, zwingt mich zur Ruhe, zum Schweigen. Ungeplant. Ungewollt. Ich habe eine kleine Wohnung gemietet, allein für mich, weil es im Ort keine WG-Zimmer gibt. Jetzt habe ich also meine eigenen vier Wände, aber das Timing ist miserabel. Weil niemand da ist zum Reden, wenn ich nach Hause komme. Fast vermisse ich Freddy und seine schmutzigen Pfannen und sein Türenknallen. Es täte mir gut, mich ab und an mit ihm auf ein kaltes Bier auf den kleinen Balkon der Wohnung setzen zu können.
Auch im Ort liegt das Leben noch relativ brach. Nach wie vor müssen Cafés und Restaurants geschlossen bleiben. Sie dürfen maximal Speisen zum Mitnehmen anbieten. Das lohnt sich kaum, denn es sind so gut wie keine Touristen da. Die Grenzen nach Portugal sind seit ein paar Tagen für touristische Reisen wieder dicht. Ich hatte riesiges Glück mit meinem Reisetermin. Gut eine Woche später wäre die Einreise deutlich schwieriger geworden.
Plötzlich ist es also erstaunlich still in meinem Leben. Für längere Gespräche reichen meine portugiesischen Sprachkenntnisse nicht aus. Mit Englisch komme ich hier nicht weit. Ich bin zurückgeworfen aufs Beobachten. Zum ersten Mal tritt das ein, was mir in Vorbereitung meiner Auszeit als mögliches Szenario durch den Kopf gegangen war: Dieses Land zwingt mich zur Ruhe. Ich laufe schweigsam am kleinen Strand der Lagune entlang, ich sitze still im warmen Sand, ich schaue wortlos aufs Wasser. Aus der Ferne höre ich den Atlantik tosen, Welle für Welle rollt er der vorgelagerten Insel entgegen. Hier jedoch, an der Lagune, ist das Wasser ruhig. Nur ab und zu ziehen die kleinen Fischerboote auf dem Weg zum anderen Ufer ihre sanften Spuren im Wasser hinter sich her.
Mitten in die Stille dieser Tage erreicht mich die Nachricht einer guten Freundin. Sie schreibt mir von „Wu Wei“ – dem chinesischen Prinzip des Handelns durch Nichthandeln. Ich hatte vor gut zwei Jahren eine Kolumne geschrieben, weil mich diese Maxime faszinierte, die so konträr zu unserem westlichen Denken lag. Jetzt könnte es für diese Erinnerung keinen besseren Zeitpunkt geben. Nicht handeln, nicht handeln müssen. Nicht im Vergangenen steckenbleiben und nicht im Nebel des Morgens herumstochern. Einfach sein. Beruhigend und heilsam.
Wohl zum ersten Mal lasse ich einen Gedanken wirklich zu: Was wäre schlimm, wenn ich in über drei Monaten nicht über meine wenigen Sätze Portugiesisch hinauskäme? Was wäre schlimm daran, wenn ich von dem Abenteuer Auszeit nichts weiter hätte, außer einer richtig schönen Zeit mit mir und diesem Land?
Ihr wollt meine Arbeit als Autorin unterstützen?
Das geht ganz einfach:
"Für die Kaffeekasse" - 5 Euro: paypal.me/britgloss/5
"Aber bitte mit Sahne" - 10 Euro: paypal.me/britgloss/10
oder ein frei wählbarer Betrag: paypal.me/britgloss
Dankeschön ;-)
Auszug aus dem 37. Kapitel
„Bom dia.“ Es sind nur zwei Worte. Doch genau diese wenigen Silben sorgen dafür, dass es mir in Fuseta immer wieder warm wird ums Herz: Dieses Land und seine Menschen sind gut zu mir, mit ihrer Willkommenskultur für Fremde wie mich, mit ihren kleinen Gesten, die mir ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Sie grüßen mich mit ihrem freundlichen Olá“, als wäre es das Normalste auf der Welt. Anfangs bin ich regelrecht überrascht, weil dieses Hallo eben nicht nur in Geschäften fällt, sondern mir einfach auf der Straße entgegengebracht wird, von Männern wie Frauen, ganz gleich welchen Alters, Blickkontakt inklusive.
Seit ich hier bin, erfahre ich, was es wirklich bedeutet, allein in der Fremde zu sein. Und wie gut mir diese kleinen Strohhalme aus Worten und freundlichen Augenblicken tun, nach denen ich besonders dann gern greife, wenn mich die Sehnsucht nach der Heimat streift. Und dabei bin ich freiwillig hier. Wenn ich will, kann ich schon morgen im Flieger nach Hause sitzen. Ich habe die Wahl. Nichts und niemand zwingt mich zu etwas, zum Hierbleiben schon gar nicht.
...
Neugierig, wie es weitergeht?
Am kommenden Freitag gibt es das vollständige Kapitel - und weitere Bilder aus Fuseta!